Owner Earnings vs. Free Cash Flow – Aktienanalyse nach Warren Buffet
„Owner Earnings“ – als ich das erste Mal von dieser Finanzkennzahl gehört habe, hatte ich schon einige Einzelwerte in meinem Depot und dachte auch, dass ich eine grobe Vorstellung davon habe, wie man auf einen Unternehmensbericht schaut. Zumindest konnte ich eine Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) so nachvollziehen, dass ich wusste, wie und warum in der Bottom Line ein Gewinn (oder Verlust) steht. Die Cashflow-Berechnung war schon etwas komplexer, aber auch zu meistern. Irgendwann stolperte ich über eine Überschrift „Die einzige Finanzkennzahl, die Warren Buffett, das Orakel von Omaha, für seine Value-Investing-Strategie nutzt“. Bei genauer Betrachtung war der Artikel nicht ganz so eindimensional, wie es klingt. Gleichzeitig spielen in meiner Betrachtung von Aktien seither zwei Kennzahlen eine entscheidende Rolle: Owners Earnings (Eigentümererträge) und Free Cash Flow (Freier Cashflow). Doch was genau bedeuten diese Begriffe, und wie unterscheiden sie sich? In diesem Artikel tauchen wir tief in die Welt dieser Finanzkennzahlen ein und beleuchten, was Buffett wohl zu diesem Vergleich sagen würde 😉
Probleme bei der Betrachtung des Gewinn pro Aktie (EPS)
Der Gewinn pro Aktie (EPS) ist eine weit verbreitete und meiner Meinung nach leicht verständliche Kennzahl zur Beurteilung der Profitabilität eines Unternehmens. Allerdings bringt die isolierte Betrachtung des EPS einige Probleme mit sich. Diese sind für meinen Geschmack wiederum nicht ganz einfach zu verstehen und fallen eigentlich erst im Vergleich zu Kennzahlen wie Free Cash Flow (FCF) und eben den Owner Earnings auf. Ein Hauptproblem der EPS liegt in der bilanztechnischen „Flexibilität“ bei der Gewinnermittlung. Unternehmen können durch unterschiedliche Bilanzierungsmaßnahmen, wie beispielsweise die Wahl der Abschreibungsmethode oder die Bildung von Rückstellungen den ausgewiesenen Gewinn und somit auch das EPS beeinflussen, ohne dass sich die tatsächliche Cashflow-Situation des Unternehmens verändert.
Zudem berücksichtigen die EPS nicht die notwendigen Investitionen (CAPEX), die ein Unternehmen tätigen muss, um seinen Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten und zukünftiges Wachstum zu generieren. Ein Unternehmen mit hohen EPS könnte beispielsweise gleichzeitig hohe Investitionen tätigen. Diese hohen Investitionen schmälern wiederum den tatsächlich verfügbaren Cashflow für uns Aktionäre. Im Gegensatz dazu betrachten Owner Earnings (und Free Cash Flow) den Cashflow nach Abzug dieser notwendigen Investitionen. Damit geben Owner Earnings und FCF ein für mein Verständnis realistischeres Bild der tatsächlichen Ertragskraft und der finanziellen Gesundheit eines Unternehmens wieder.
Was sind die Owner Earnings?
Im Kern beschreiben die Owner Earnings den Cashflow, der einem Unternehmenseigentümer – also auch uns Aktionären – nach allen notwendigen Investitionen zur Verfügung steht, um die Wettbewerbsfähigkeit und das zukünftige Wachstum des Unternehmens zu sichern. Klingt kompliziert, ist es aber eigentlich nicht. Die Problem mit dem ausgewiesenen Gewinn pro Aktie (EPS) hatte ich Absatz zuvor beschrieben. Um das Konzept der Owner Earnings zu verstehen, müssen wir uns nochmal die Wege anschauen, die der Nettogewinn (EPS) nach seiner Erwirtschaftung nehmen kann. Der erste Weg (Weg A) ist eine mögliche Dividendenzahlung. Alle Mittel, die diesen Weg nehmen, werden sofort als Owner Earnings bewertet. Der verbleibende Betrag des Nettogewinns nach der Dividendenzahlung wird verwendet, um wieder in das Unternehmen zu investieren (Weg B).
Auch das Geld auf dem Weg B kann wieder in zwei Kanäle gehen. In der Variante B1 wird das Geld verwendet, um es in die Wartung und Pflege der bereits vorhandenen Ausrüstung zu reinvestieren. Diese Ausgaben werden als „Investitionsausgaben“ bezeichnet und haben quasi keinen Einfluss auf den Buchwert des Unternehmens. Die Variante B2 besteht darin, das Geld für die Erweiterung des Vermögens des Unternehmens auszugeben. Wenn die Mittel in Richtung B2 fließen, wird das Geld dem Unternehmen im Idealfall neue Einnahmequellen hinzufügen. Außerdem wird das Geld dem aktuellen Eigenkapital des Unternehmens hinzugefügt. Dieser zweite Betrag wird zur Dividende addiert und die Gesamtsumme wird als Owner Earnings bezeichnet.
In dem Artikel „Wie Aktien analysieren – Beispiel Cintas Aktienanalyse (kostenlos)„, zeige ich dir auch, wie ich die Owner Earnings in meinen Bewertungen berücksichtige.
Berechnung der Owner Earnings nach Warren Buffet
Das Konzept der Owner Earnings hat Warren Buffet erstmals 1986 in seinem Aktionärsbrief an die Aktionäre von Berkshire Hathaway versendet. Nachfolgend der entsprechende Textauszug aus dem Shareholder Letter 1986.
Der Textabschnitt aus dem Shareholder Letter von 1986 ist meiner Meinung nach nicht ganz einfach zu verstehen, selbst wenn du der englischen Sprache mächtig bist 🙂 Deshalb hier nochmal die Kurzfassung von dem was oben steht zu der Berechnung der Owner Earnings nach Warren Buffet:
Und nochmal ins Deutsche übersetzt, lautet die Berechnung der Owner Earnings (übersetzt übrigens Eigentümergewinne):
Die Berechnung klingt in der Form erstmal gar nicht so kompliziert. Wichtig zu beachten ist, dass im Jahr 1986, als Warren Buffet den Berechnungsgang beschrieben hat, die Buchhaltungsrichtlinien andere waren, als sie es heute sind. Wahrscheinlich hast du beispielsweise schonmal von bereinigten und unbereinigtem Gewinn oder GAAP (Generally Accepted Accounting Principles) bzw. IFRS (International Financial Reporting Standards) gelesen. Darauf möchte ich hier gar nicht weiter eingehen, die Folge ist aber, dass diese Zahlen, wie Sie Buffet in seiner Berechnung verwendet hat, heute teilweise nicht einfach aus den Jahres- oder Quartalsabschlüssen herausgelesen werden können.
Nettogewinn (Reported Earnings)
Der Nettogewinn ist eine der beiden Zahlen, die du sehr einfach findest. Der Nettogewinn (Net Income) ist in jedem Quartals- oder Jahresbericht die Bottom Line der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) – wie im Bild über diesem Absatz.
Abschreibungen & Amortisation (depreciation & amortization)
Abschreibungen & Amortisation (depreciation & amortization) ist im Cashflow Statement als konkrete Angabe in jedem Quartals- oder Jahresbericht zu finden.
Andere nicht zahlungswirksame Aufwendungen (other non cash charges)
Bei den anderen nicht zahlungswirksame Aufwendungen (other non cash charges) musst du schon ein wenig Suchen und das Bedarf auch etwas Übung bzw. Recherche herauszufinden, was dazu gehört. „Andere“ sind es übrigens deshalb, weil beispielsweise auch Abschreibungen & Amortisation zu den nicht zahlungswirksame Aufwendungen zählen. Alle Positionen, die dazu gehören könnten, findest du auch im Cashflow Statement. Die meiner Meinung nach meist größte und wichtigste Position sind ist die Share-based compensation. Der Einfachheit halber ist es auch die einzige nicht zahlungswirksame Aufwendung, neben Abschreibung & Amortisation, auf welche ich achte.
Investitionen in das Anlagevermögen (Total Capex vs. Maintenance Capex)
Nun kommt eine von beiden Zahlen, die dich theoretisch vor eine Herausforderung stellen können. Buffet beschreibt in seinem Shareholder letter, dass ausschließlich die Maintenance Capex, also die Investitionsausgaben für Instandhaltung, welche die Owner Earnings reduzieren. Capital Expenditures oder kurz Capex, zu deutsch passend mit Investitionsausgaben übersetzt, umfassen alle längerfristigen Investitionen in die Vermögenswerte eines Unternehmens. In der Wirklichkeit aus Unternehmenssicht lassen sich die diese in zwei Kategorien einteilen:
- Investitionsausgaben für Wachstum: Wenn Unternehmen Geld ausgeben, um ihr Geschäft auszubauen und um in Zukunft mehr Geld zu erwirtschaften, wird dies als Wachstumskapitalausgaben betrachtet. Dazu gehören alle Investitionen zum Beispiel für Gebäudekäufe oder die Aufrüstung der Unternehmensausrüstung. Das sind aus unserer Aktionärssicht „gute“ Ausgaben, das uns diese langfristig mehr Gewinn bringen sollen.
- Investitionsausgaben für Instandhaltung: Dies ist die Zahl, die wir zu ermitteln versuchen. Wie der Name schon vermuten lässt, sagt dir diese Zahl, wie viel Geld das Unternehmen nur für die Aufrechterhaltung des Geschäfts und seiner Abläufe ausgibt. Wenn beispielsweise eine Maschine ausfällt, würde das Unternehmen Geld ausgeben, um sie wiederherzustellen. Da die Wiederherstellung dieser Maschine den Cashflow des Unternehmens nicht verbessert und nicht als Investition angesehen wird, die das Geschäft wachsen lässt, wird sie als Instandhaltungskapitalausgaben betrachtet.
Die Herausforderung ist, dass es nicht viele Unternehmen gibt oder ich einfach nicht viele Unternehmen kenne, die Maintenance Capex als separate Position angeben. In den meisten Geschäftsberichten findest du nicht mal die Capex als Gesamtposition. Ich persönlich mache mir nicht die Mühe der Unterscheidung der Capex, sondern nutze immer die Gesamt-Capex, da dies auch eine zusätzliche Sicherheit ist.
Änderungen im Nettoumlaufvermögen (changes in working capital)
Die meiner Meinung zweite kleine Herausforderung ist Änderungen im Nettoumlaufvermögen (changes in working capital) zu bestimmen. Dein Anlaufpunkt dafür ist wieder das Cashflow Statement. Damit kannst du die Änderungen im Nettoumlaufvermögen zum Beispiel nach folgender Formel berechnen.
Aber Achtung: auch wenn die Formel den Eindruck vermittelt, dass es sich hierbei um Positionen aus dem Balance Sheet handelt, du findest die Angaben im Cashflow Statement. Zu den Operating Current Assets zählen Accounts Receivables (A/R), Inventory, Prepaid Expenses und zu den Operating Current Liabilities gehören Accounts Payable (A/P) und Accrued Expense. In dem Screenshot weiter unten siehst du beispielhaft, wie diese Positionen aussehen können.
Beispiel der Berechnung der Owner Earnings
Anhand der beinen Screenshots oben und dem nachfolgenden Screenshot aus dem Cashflow Statement zeige ich dir hier als Beispiel die Berechnung der Owner Earnings von Mastercard für das Geschäftsjahr 2023 (Quelle: Investor Relations Mastercard, 10-K Filing 2023):
Das heißt, Mastercard hat im Geschäftsjahr 2023 Owner Earnings von 10.718 Mio. US_Dollar erwirtschaftet.
Unterschied Owner Earnings und Free Cash Flow (FCF)
Als Ergänzung möchte ich noch auf den Unterschied zwischen den Owner Earnings und dem Free Cas Flow eingehen. Der Free Cash Flow ist der Geldbetrag, der einem Unternehmen nach Abzug aller betrieblichen Ausgaben und Investitionen in das Anlagevermögen (Capital Expenditures) zur Verfügung steht. Diesen Free Cash Flow kann das Unternehmen für unterschiedliche Zwecke einsetzen, z. B.:
- Dividendenausschüttungen
- Aktienrückkäufe
- Tilgung von Schulden
- Akquisitionen
- Reinvestitionen ins Geschäft (zusätzlich zu den notwendigen CapEx)
Die Berechnung des FCF sieht vereinfacht wie folgt aus:
Der Minuend (Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit) ist beispielsweise als „Net cash provided by operating activities“ im Cashflow Statement zu finden. Wie du an die Capex kommst, kannst du weiter oben nachlesen.
Vergleich Owner Earnings vs. Free Cash Flow
Was ist nun der Hauptunterschied im Vergleich zwischen Owner Earnings und Free Cash Flow? Der Hauptunterschied liegt in der Behandlung der Investitionen (CapEx). Der FCF zieht alle Investitionen ab, während die Owner Earnings sich auf die notwendigen Investitionen beschränken, um den aktuellen Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Das Argument von Warren Buffett war hier, dass der Teil der Investitionen in das Wachstum eigentlich eine Form der Gewinnausschüttung darstellt, da sie zukünftiges Wachstum generieren sollen. Ich persönlich finde die Bestimmung der „notwendigen“ Investitionen (Maintenance CapEx) sehr subjektiv. Mir fällt es oft schwer zu unterscheiden, welcher Teil der Investitionen dem Erhalt des bestehenden Geschäfts dient und welcher dem Wachstum. Der FCF ist in dieser Hinsicht objektiver, da er alle Investitionen berücksichtigt.
Außerdem addieren die Owner Earnings Abschreibungen und Amortisationen zum Nettogewinn hinzu, da dies nicht-zahlungswirksame Aufwendungen sind. Der FCF berücksichtigt dies bereits im operativen Cashflow.
In der Praxis wird der FCF häufiger verwendet als die Owner Earnings. Das ist meiner Meinung nach aus nachvollziehbar, da er einfacher zu berechnen und weniger interpretationsbedürftig ist. Die Owner Earnings sind eher ein konzeptionelles Instrument, um die tatsächliche Ertragskraft eines Unternehmens besser zu verstehen.
Im nachfolgenden Bild habe ich die berechneten Owner Earnings je Aktie und den Free Cash Flow je Aktie für Mastercard der letzten Jahre gegenübergestellt. Die Berechnung der Owner Earnings habe ich mit den tatsächlichen Maintenance CapEx durchgeführt. Wie du siehst, ist der Unterschied marginal. Dies ist meiner bescheidenen Erfahrung nach recht häufig der Fall. Das ist auch der Grund, weshalb ich bei meinen Betrachtungen immer beide Kennzahlen heranziehe.
Fazit: Sind Owner Earnings eine bessere Kennzahl als der Free Cash Flow?
Auf diese etwas reißerische Frage gibt es meiner Meinung nach keine eindeutige Antwort. Beide Kennzahlen haben ihre Berechtigung und können wertvolle Einblicke liefern. Der FCF ist einfacher zu berechnen und zu vergleichen, während die Owner Earnings ein tieferes Verständnis der Geschäftsrealität ermöglichen können. Leider lassen die Owner Earnings auch mehr Interpretationsspielraum, da beispielsweise die Bestimmung der Maintenance CapEx eine sehr subjektive Komponente hat.
Für meinen Geschmack, und so handhabe ich es auch, ist es sinnvoll, beide Kennzahlen in Kombination mit anderen Analysetools zu betrachten, um ein umfassendes Bild der finanziellen Situation eines Unternehmens zu erhalten.
Die oben gezeigte Grafik zum Vergleich der Owner Earnings und dem Free Cashflow stammt übrigens aus meinem Excel-Tool, was ich euch in dem Beitrag „Wie Aktien analysieren – Beispiel Cintas Aktienanalyse (kostenlos)“ gezeigt habe.
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